Gegner vs. Täter

Eine Notwehrsituation hat mit einem fairen Wettkampf nichts zu tun.

Der Täter hat Sie nicht ausgesucht, weil es ihm darum ginge, sich mit Ihnen zu messen, sondern weil er annimmt, dass Sie das Opfer sind, mit dem er machen kann, was er will.

Ein gleichwertiger überlegener Gegner ist das Letzte, was er sich wünscht.

(Gerade, wenn es um sexualisierte Gewalt geht, sind die Taten selten spontan, sondern meist lang schon geplant. Der furchterregende Mann, der im dunklen Wald hinter einem Busch hervorspringt, ist statistische Unwahrscheinlichkeit, sexualisierte Gewalt geschieht meist zwischen Menschen, die sich gut oder zumindest ein wenig kennen, im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis. Ob zu Recht oder irrtümlicherweise: Der Täter nimmt an, dass er Ihnen überlegen ist. Sonst hätte er Sie nicht ausgesucht.)

Die Regeln menschlichen Miteinanders, Ihr Leben, Ihre Gesundheit gelten dem Täter nichts. Er hat sich entschieden, sich nicht an diese Regeln zu halten.

Diese Regellosigkeit ist es, die antisoziale Gewalt von sozialer Gewalt unterscheidet.

Solange noch Regeln gelten, solange Reden noch hilft, haben verbal-kommunikative Strategien noch einen Sinn.

In einer Situation aber, die von antisozialer Gewalt bestimmt wird, geht es für Sie in erster Linie darum, sicherzustellen, dass der Täter aufhört mit dem, was er tut. Auch ohne dass er sich dazu freiwillig Regeln unterwerfen müsste.

Kampfkunst, Kampfsport, ist regelgeleitetes Tun.

Wer eine Kampfkunst trainiert, übt sich darin, Regeln einzuhalten.

Vielleicht die wichtigste dieser Regeln: den anderen nicht zu verletzen.

Dies sicherzustellen, gibt es Regelwerke, die bestimmen, was erlaubt und was verboten ist.

Handschuhe und Matten, die die Kämpfer vor Verletzungen bewahren, die Vereinbarung, Schläge nicht durchzuziehen, verletzliche Punkte nicht anzugreifen, aufzuhören, wenn der andere signalisiert, dass er aufgeben möchte etc.

Kampfkünste und Kampfsportarten (das sind die Kampfkünste, in denen es Wettkämpfe gibt) sind Wege der Persönlichkeitsentwicklung.

Ju-DO, Aikido-DO, Karate-Do, Taekwon-DO.

(Do ist japanisch und heißt Weg.)

Eine Notwehrsituation ist etwas ganz anderes.

Hier gelten keine Regeln (so hat es der Täter entschieden) und Rücksichtnahme auf den Täter wäre verfehlt.

Ihr oberstes Ziel muss sein, das, was Ihnen da geschieht, so unbeschadet wie möglich zu überleben, alles andere ist zweitrangig.

Kampfsportlern, die lang schon trainieren, fällt es manchmal schwer, hier umzudenken.

(Die meisten Frauen, die meine Seminare besuchen, haben mit Kampfsport nichts am Hut. Ihnen fällt es darum leicht zu lernen.)

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