Pfefferspray – contra und pro

Deutschland, so liest man, rüstet auf. Menschen bewaffnen sich. Vor allem: mit Pfefferspray.

Von meiner Seite einige Gedanken dazu, in loser Folge, contra und pro.

Was dagegen spricht:

  • Pfefferspray ist als Waffe für den Einsatz gegen angreifende Tiere gedacht.
  • Pfefferspray gegen Menschen einzusetzen ist nur in einer Notwehrsituation erlaubt (besser gesagt: wird nur dann nicht bestraft).
  • Verletzt man einen Menschen, ohne dass es sich um eine Notwehrsituation handelt, wird man wegen schwerer Körperverletzung verurteilt.
  • Das Vorliegen einer Notwehrsituation sollte man dem Richter gegenüber gut begründen können. Einem Menschen, der zwölf Meter entfernt steht (und der keine Distanzwaffe trägt), einen gezielten Strahl ins Auge zu sprühen, ist nicht gut begründbar. Auch nicht, wenn manche Sprays so etwas heute leisten.
  • Die Gefahr schwerwiegender Verletzungen (bei allen Beteiligten und „Unbeteiligten”) ist deutlich höher als in den Werbebroschüren der Hersteller kommuniziert.
  • Die Bedienung einer Spraydose scheint einfach, erfordert aber dennoch Übung. Das einmalige Lesen der Bedienungsanleitung reicht nicht aus.
  • Mechanisch zuverlässig ist wenig in dieser Welt. So funktioniert auch eine Spraydose nicht immer und überall. Und manchmal genau dann nicht, wenn man es sich wünscht.
  • Manchmal funktioniert der Sprühmechanismus auch erst dann überraschend gut, wenn die Dose sich plötzlich in der Hand des Täters befindet.
  • Viele Menschen, die ein solches Spray mit sich führen, wissen nicht (da sie es nie ausprobiert haben), was passiert, wenn sie den Auslöser betätigen, wissen nicht, was Wolke ist und was Strahl, und wie lang es dauert, bis die Dose leergesprüht ist.
  • Der Wind, der weht, beeinflusst das Geschehen. Gegen den Wind zu sprühen, empfiehlt sich nicht. Drum ist es gut, jederzeit zu wissen, woher der Wind weht.
  • In kleineren, geschlossenen Räumen oder auf engem Raum sind alle Beteiligten dem versprühten Stoff ausgesetzt.
  • Das Verhalten des Täters beeinflusst das Geschehen. Er wendet sich ab, trägt eine Brille, die seine Augen verdeckt, schließt die Augen, verbirgt sein Gesicht, da gibt es viele Unwägbarkeiten. Je weniger überraschend das Sprühen erfolgt, desto mehr Handlungsoptionen hat der Angreifer.
  • Das, was bei einem Täter (einem Sprühziel) funktioniert, funktioniert bei mehreren Tätern (mehreren Sprühzielen) nicht mehr so gut oder gar nicht. Die Gefahr der Eskalation ist groß.
  • Die „innere Verfassung” des Täters beeinflusst das Geschehen. Adrenalin und andere körpereigene und körperfremde Drogen vermögen das Schmerzempfinden in einer Weise zu verändern, wie man sich das gemütlich am Computer sitzend kaum vorstellen kann.
  • Die Einschätzung der eigenen Handlungskompetenz verändert sich durch das Tragen einer Waffe. Manche begeben sich, blauäugig, in Situationen, in die sie sich – ohne vermeintlichen Schutz – nicht begeben würden.
  • Die Hemmschwelle, eine Waffe einzusetzen, sinkt in dem Maße, wie sie leicht zu bedienen ist. Damit schwindet die für beide (!) Seiten eingebaute Sicherheit. Der Einsatz des eigenen Körpers in der Selbstverteidigung erfordert vergleichsweise sehr viel mehr Commitment.
  • Die Fähigkeit, Situationen richtig einzuschätzen und adäquat zu reagieren, steigt nicht mit der Verfügbarkeit einer Waffe, sondern ist typ- und vor allem erfahrungsabhängig. Je größer die Erfahrung, desto angemessener in der Regel die Reaktion.
  • Das Tragen einer Waffe führt dazu, dass gewalttätige Lösungen zu Ungunsten lösungsorientierten Verhaltens präferiert werden. (Auf dass wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt Situationen, in denen Gewalt nur mit Gewalt begegnet werden kann und nichts anderes mehr hilft. Gewalttätiges Verhalten aber ist immer ultima ratio, der allerletzte Ausweg. Je handlungskompetenter Sie sind, was gewalttätiges Verhalten angeht, desto seltener müssen Sie diesen Ausweg wählen. Handlungskompetenz in Kontexten antisozialer Gewalt lernen Sie bei mir im Notwehrseminar.)
  • In einer Notwehrsituation, in der extrem viel Adrenalin ins Blut gelangt und die Herzfrequenz sich angstinduziert (!) sehr schnell massiv erhöht, sind feinmotorische Bewegungen nicht mehr und komplexmotorische Bewegungen kaum noch möglich. Der Körper beschränkt sich auf die Grobmotorik. Die kontrollierte Bedienung einer Spraydose ist dann nicht mehr möglich. Hierzu auch: Kampfkunstmärchen
  • Die „mannstoppende” Wirkung ist beschränkt, häufig bleibt nicht mehr als ein taktischer Vorteil, bis der nächste Angriff erfolgt. Polizeiberichte sind hier der Wirklichkeit näher als das Werbematerial der Hersteller.
  • Sehr häufig erfolgen Angriffe so überraschend, dass keine Zeit mehr bleibt, an das Spray zu gelangen. So man es überhaupt gerade dabei hat und auch genau weiß, wo man es verstaut hat.
  • Das Gefühl der Sicherheit, das sich durch das Tragen eines Pfeffersprays einstellen mag, ist – und wenn Sie jetzt einmal in sich hineinspüren, werden Sie es bemerken – wenig gegründet. Es hat keine Kraft. Es ist dem Gefühl vergleichbar, das ein Nichtschwimmer haben mag, der bei einer Bootsfahrt einen Rettungsring (oder Schwimmflügelchen) mit sich herumträgt. Schwimmen lernen ist sinnvoller und nachhaltiger. Und wer Schwimmen gelernt hat, wird auch nicht ständig darüber nachdenken, dass er irgendwo ins Wasser fallen könnte.
  • Das Tragen eines Pfeffersprays und die fortwährende Beschäftigung mit dem Thema Gewalt vergiften das Leben. Die Grundstimmung bleibt: Ich kann mich selbst (!) nicht wehren und bin auf Hilfe von außen (auch ein Spray ist Hilfe von außen) angewiesen.

Was dafür spricht:

  • Ich denke noch darüber nach.
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